„Theater ist ein Gemeinschaftserlebnis“
Er selbst ist eingefleischter Theaterfan, seit er 13 ist. Bei Schillers „Don Karlos“ sei der Funke übergesprungen, sagt Walter H. Krämer. Als sich der Großinquisitor als Volksschauspieler Joseph Offenbach entpuppte, sei es um ihn geschehen gewesen.
Seit 2009 leitet Krämer das Theaterseminar der Frankfurter Volkshochschule (VHS). Das feiert in diesem Jahr ein ganz besonderes Jubiläum. Denn schon seit 50 Jahren begleitet das Theaterseminar das schauspielerische Geschehen auf den Frankfurter Bühnen, begeistert Menschen quer durch alle Altersstufen für die faszinierende Welt des Theaters.
Los ging es 1973. Wobei in den frühen Diskussionsrunden nicht nur die Köpfe rauchten, wie der Blick in das erste von bis heute insgesamt zwölf Gästebücher beweist. Eine der ersten Aufnahmen zeigen den früheren Schauspieldirektor Peter Palitzsch auf dem Podium – mit Zigarette im Mund und Feuerzeug auf dem Tisch. Zwei Plätze weiter folgt eine Dame mit kritischen Blick die Ausführungen des damals nicht unumstrittenen Mitbestimmungstheatermachers. Es handelt sich um Karin Keil, Gründerin und erste Kursleiterin des Theaterseminars.
„Eigentlich wollte sie Schauspielerin werden“, sagt Krämer. „Doch ihr Mann erlaubte es nicht. ‚Dann hole ich eben das Theater ins Wohnzimmer,‘ entgegnete sie. Mit dem Theaterseminar machte sie ihre Ankündigung wahr.“
25 Jahre lang, von 1973 bis 1998, leitete Keil den Kurs, wurde Gesicht und Aushängeschild des beliebten Seminars. Danach übernahm Norbert Riedinger das Zepter. Anfang 2010 folgte der heutige Kursleiter Krämer.
Was macht das Theaterseminar aus?
Zum Konzept gehören die begleitende Textlektüre, Einführungen in die Stücke und ihre Inszenierungen sowie der gemeinsame Besuch von Aufführungen beim Schauspiel Frankfurt, freien Bühnen und Theatergruppen. Eingeladene Gäste wie Theaterdirektorinnen und -direktoren, Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseurinnen sowie Regisseure, Mitarbeitende aus Dramaturgie, Bühne und Kostüm sowie Autorinnen und Autoren eröffnen den Blick hinter die Kulissen. Regelmäßig organisiert das Seminar zudem Besuche von kulturpolitisch Tätigen. Im Vordergrund steht der Dialog mit den rund 30 bis 40 Teilnehmenden.
„Kultur für alle – Hilmar Hoffmanns Plädoyer ist heute aktueller denn je. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr kulturelle Bildung. Das Theaterseminar ist ein herausragendes Beispiel, wie es gelingen kann, Kunst und Kultur zu vermitteln“, lobt Bildungsdezernentin Sylvia Weber. „Es geht darum, Hemmschwellen abzubauen und für ein tiefgehendes Verständnis von Kunst zu werben. Kulturelle Bildung liefert Einblicke, Zusammenhänge und Hintergründe, um das Dargebotene in seiner ganzen Bandbreite zu erfahren. Sie erweitert den Horizont – und sie macht Spaß.“
„Unsere Kursleitungen machten – und machen – nicht nur eine exzellente Bildungsarbeit. Sie schafften es auch, die Profis der Städtischen Bühnen und der freien Theater zu überzeugen, trotz voller Terminkalender am Theaterseminar mitzuwirken“, sagt Danijel Dejanovic, Direktor der VHS. Er fügt hinzu: „Die Städtischen Bühnen, das Theater Willy Praml, die Dramatische Bühne, das Freie Schauspielensemble Frankfurt und die Landungsbrücken, um nur einige zu nennen, waren der VHS fünf Jahrzehnte kontinuierliche und inspirierende Kooperationspartner:innen für die Kulturelle Bildung. Ohne diese Partner kein Theaterseminar. Auch deshalb sagt die VHS ‚Danke‘. Wir sind gespannt, was die Zukunft noch bringt.“
Warum Theater statt Netflix und Co.? Für Seminarleiter Krämer ist die Sache klar. „Weil Theater ein Gemeinschaftserlebnis ist“, sagt der 73-Jährige. Bühne und Publikum sind keine getrennten Sphären. Sie beeinflussen einander, machen jede Aufführung zu einem Unikat. Darüber zu sprechen, verschiedene Sichtweisen auszutauschen – das ist schon etwas ganz Besonderes.“
Das VHS-Theaterseminar in Zahlen:
- Rund 1500 Treffen in 50 Jahren
- Aktuell30, bislang mehr als 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
- Drei Leitungen: Karin Keil (1973-1998), Norbert Riedinger (1998-2009), Walter H. Krämer (seit 2010)
- Rund 600 Gäste, darunter Sibylle Baschung, Luc Bondy, Nora Khuon, Lothar Kittstein, Peter Palitzsch, Willy Praml, Oliver Reese, Esther Slevogt, Gerhard Stadelmaier und Anselm Weber.