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50 Jahre VHS-Kurs „Bewältigung der Umwelt“

News 50 Jahre VHS-Kurs „Bewältigung der Umwelt“

Podiumsdiskussion zum Thema "Selbstvertretung damals und heute" am Dienstag, 7. Mai 2024, 16 bis 19 Uhr, Historisches Museum Frankfurt (Sonnemannsaal)

Die Bewältigung der Umwelt musste für alle möglich sein. Der Meinung waren auch der Aktivist Gusti Steiner und der Journalist Ernst Klee. Sie riefen 1974 den Volkshochschulkurs „Bewältigung der Umwelt“ ins Leben. Menschen mit und ohne Behinderung nahmen ihre Lebenssituation in den Blick. Mit öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen, zum Beispiel mit einer Straßenbahnblockade, machten sie auf Barrieren aufmerksam.
Die Kraft und Energie, die aus dieser Bewegung entstand, brachte Steine ins Rollen. Behinderte Menschen als Akteure erwirkten maßgebliche Veränderungen: von zugänglichen Verkehrsmitteln über Neuerungen in der Antidiskriminierungs- und Teilhabegesetzgebung bis hin zur UN-Behindertenrechtskonvention.

In einer Podiumsdiskussion werden die Erfahrungen lebendig. Wir sprechen mit Teilnehmer:innen der damaligen Kurse und Zeitzeug:innen und hinterfragen, was sich seither getan hat und wo heute weiter Veränderungsbedarf besteht.
 
Programm
Podium 16:00 bis 18.00 Uhr.
Anschließend bis 19:00 Uhr Ausklang: Austausch und Gespräche.
Induktive Höranlage
Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache.
Anmeldung (kostenfrei) bitte per Mail an inklusion.vhs@stadt-frankfurt.de oder über die Kursnummer 9800-45 
 
Grußworte:
  • Dr. Nargess Eskandari-Grünberg, Bürgermeisterin Stadt Frankfurt am Main
  • Danijel Dejanovic, Direktor Volkshochschule Frankfurt am Main
  • Dr. Jan Gerchow, Direktor Historisches Museum Frankfurt

Podium:
  • Georg Gabler, Sozialberater
  • Hannes Heiler, FBAG Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft / Selbst e.V.
  • Ulrike Holler, Journalistin, Hessischer Rundfunk
  • Ottmar Miles-Paul, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben, Kobinet-Nachrichten
  • Christa Schlett, Autorin
  • Annedore Smith, Journalistin
  • Björn Schneider, Selbstvertreterrat Lebenshilfe

Moderation: Katja Lüke

Historisch-wissenschaftliche Einordnung: Dr. Rafael Rössler, German Historical Institute, Washington D.C.
Rap der Projektgruppe „Nur mit uns!“


In Zusammenarbeit mit:
Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft FBAG, Selbstvertreter-Rat Lebenshilfe, Stabsstelle Inklusion Stadt Frankfurt am Main - Historisches Museum Frankfurt

Hintergrund

Der VHS-Kurs „Bewältigung der Umwelt“ (1974 bis ca. 1984)

 

1973

Planung und Konzeption des VHS-Kurses „Bewältigung der Umwelt“ durch Gusti Steiner (Sozialarbeiter, selbst behindert), Ernst Klee (investigativer Journalist) und Wolfram Helmer (VHS Frankfurt). Der Kurs sollte Menschen mit Behinderung selbstbewusster machen, ihnen ein aktiveres, selbstbestimmteres Leben ermöglichen. Zentral war eine neue Sicht auf Barrieren, die nicht mehr als unüberwindbar galten – sondern als veränderbare Umwelt-Faktoren. Mit Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen sollte ein Schlaglicht auf diese Barrieren geworfen werden.
 


1974

Januar: Beginn des ersten Kurses „Bewältigung der Umwelt“

1. Februar 1974: Die erste größere Aktion. Es geht um das nicht barrierefreie Postamt auf der Zeil. Nach einem Test sprechen Rosemarie Heßler (Rollstuhlfahrerin) und Marlies Nehrstedte (FR-Journalistin) Passanten an und bitten, dass man ihnen in die Post hilft. Anschließend Anruf und Anschreiben an Postdirektion. Erst nach Jahren wird eine Rampe gebaut.

Februar/März 1974: Ähnliche Protestaktionen an den Zugängen zu für behinderte Menschen wichtigen Einrichtungen wie AOK, VdK, Sozialamt; Testeinkäufe in Supermärkten zeigen: Rollstühle passen nicht in die schmalen Durchgänge

18. Mai 1974: Hauptwache: Stand mit Flugblättern und Plakaten, Klebeaktion „Prädikat behindertenfeindlich“ und öffentlichkeitswirksame Blockade der Straßenbahn durch Gusti Steiner

16. November 1974: „Unser Vorschlag zum Wochenende – Fahr mal im Gepäckwagen“ ¬ der Aufruf, unterzeichnet von Wolfram Helmer und Ernst Klee, hat einen ernsten Hintergrund. Bei Fahrten mit der Bahn landen Rollstuhlfahrer immer wieder im Gepäckabteil

Dezember 1974: In der Vorweihnachtszeit nimmt die satirische Aktion „Behinderte zum Fest“ die Reduktion von Menschen bis Behinderung auf die Rolle des Almosenempfängers aufs Korn. „Angeboten“ werden Behinderte als Fotomotiv – um zum Fest das soziale Image aufzupolieren.
 


1978-1980

Jeweils am Buß- und Bettag im November wird der satirische Negativ-Preis „Die goldene Krücke“ verliehen.
 


Nach 1980

Gusti Steiner zieht nach Dortmund, ist dort weiterhin aktiv. Ernst Klee zieht sich als Kursleiter zurück, widmet sich u. a. verstärkt seinen Recherchen zu Euthanasie-Verbrechen. Die Kursleitung des VHS-Kurses übernehmen bisher Teilnehmende, darunter auch Georg Gabler (ehemals CeBeeF Frankfurt am Main)
8. Mai1980: Demonstration gegen das Frankfurter Reiseurteil. Das Landgericht hatte Urlaubsgästen eine Minderung des Reisepreises zugesprochen, weil deren Erholung durch Urlaubsgäste mit Behinderung beeinträchtigt worden sei. Es kommen rund 5000 Menschen – weitaus mehr als erwartet.

Anfang der 1980er Jahre: Theresia Degener nimmt als Jurastudentin am Kurs teil. Sie wird eine der bekanntesten Aktivistin der bundesdeutschen Behindertenbewegung. 1981 war sie maßgeblich an der Durchführung des Krüppeltribunals beteiligt, bei dem Menschenrechtsverletzungen an behinderten Menschen angeprangert wurden. In den Jahren nach 2001 war sie als unabhängige Juristin und Vertreterin Deutschlands an der Ausarbeitung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beteiligt.

Zusammengestellt von Susanne Bell