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Schreibwettbewerb 2018

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Prämierte Texte 2018 „Die Wahrheit der Dichtung“

Am 25. Januar 2019 veranstaltete die Volkshochschule Frankfurt am Main erstmalig für die Bekanntgabe der Preisträgerinnen und Preisträger des Wettbewerbs eine Lesung, an der rund 50 Gäste teilnahmen. Die vier prämierten Einsendungen wurden von den Autorinnen und Autoren vorgetragen und die Jury erläuterte die Begründungen für ihre Auswahl. Der Platz zwei wurde in diesem Jahr zweimal vergeben: Für eine Kurzgeschichte und für ein Gedicht.

Das Thema des VHS-Schreibwettbewerbs 2018 beschäftigte sich mit der Doppeldeutigkeit von Begriffen. Ist mit Strauß ein Vogel gemeint oder ein Blumengebinde? Führt die Brücke über den Fluß oder bekommt man sie beim Zahnarzt? Arbeitet er auf Montage oder hasst sie Montage?

Mit den Worten Sichel, Flügel, Gericht, Laster und Verband gab die VHS-Jury fünf Begriffe vor und machte damit ein vielschichtiges Tableau von Erzählmöglichkeiten auf. Welchen Bedeutungen folgten die Autorinnen und Autoren erzählend? Und wer schaffte es, alle zehn zu berücksichtigen? Und wenn ja wie?

Wir gratulieren den diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträgern!

Sonja Rudorf, Renate Traxler und Miriam Claudi (für die VHS)

Die Gewinnertexte 2018 finden Sie hier (PDF) zum herunterladen.

Auf dem Foto: Cornelius Zimmermann (Platz 1,) Gloria Frink (Platz 2), Nicole Nazari (Platz 3), Jo Defregger (Platz 2)

1. bis 3. Platz 2018 (Begründung der Jury)

1. Platz: Cornelius Zimmermann, „Silberne Sichel“

Wer denkt, die VHS prämiere ausschließlich Texte der leichten Kost, kann hier eines besseren belehrt werden: Surreal, geheimnisvoll, doch nie nach Effekten haschend, gleiten wir beim Lesen der Geschichte „Silberne Sichel“ in eine Welt, deren Koordinaten Cornelius Zimmermann nach eigenen Gesetzen ausrichtet. Die Handlung nachzuerzählen, erscheint uns nicht nur unmöglich, sondern auch irrelevant. Es geht darum, sich mit dem Strom der Worte durch die Geschichte tragen zu lassen.

Traum und Wirklichkeit verschmelzen nicht nur miteinander, sondern nehmen auch Bezug zueinander. Die surreale Welt, in der der Ich-Erzähler einen zu Fall gekommenen Jungen zu retten sucht, wird durch die Wirklichkeit, die uns in ein Krankenhaus entführt, nicht aufgelöst, sondern verwebt sich mit den Träumen und Gedanken des erzählenden Ichs. Neben den Wörtern, die die VHS Jury für den Wettbewerb vorgab, tauchen auch andere Schlüsselworte immer wieder in neuer Form in der Geschichte auf und prägen ihre bedeutungs- manchmal unheilschwangere Stimmung.

Der Text von Cornelius Zimmermann hat die Jury nicht nur wegen seiner Vielschichtigkeit überzeugt, sondern wegen seiner literarischen Qualität. Aus jeder Zeile tritt dem Lesenden eine neue Sprache entgegen. Formulierungen wie „der Lärmbauch der Stadt“ oder „Die Zeit knuffte mir in die Seite“ geben Einblick in die originelle Sichtweise des Autors.

„Mir war, als flöge ich wie ein orientierungsloser Schmetterling“, heißt es an einer Stelle im Text. Ja. Das geht einem als Leserin manchmal ähnlich. Aber es ist ein Flug durch eine reiche Welt voller Möglichkeiten, und er ist lustvoll und berührt.

2. Platz: Jo Defregger, "23. Februar 1943 - ein deutscher Schicksalsschlag"

Auf spannende Art und mit einem ungewöhnlichen Blickwinkel erzählt Jo Defregger von einem fiktiven, überlebenden Freund Sophie Scholls. Die Furcht, ebenso wie die Freundin den Aufruf zum Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Leben zu bezahlen, ist auf sehr anschauliche und dennoch nicht reißerische Weise beschrieben. Die Geschichte geht unter die Haut und lässt nachdenklich werden. Dass uns der Erzähler an seinem persönlichen Schicksal teilhaben lässt und offen seine Ängste gesteht, schafft Mitgefühl und zieht in das Geschehen der damaligen Zeit. Sorgfältig ausgewählte Details lassen eine historische Welt auferstehen.

Die Begriffe, die die Jury für den Wettbewerb vorgab, sind gut eingebunden und werden an manchen Stellen sogar zu Schlüsselbegriffen. Zum Beispiel, wenn sich der Protagonist Flügel wünscht, mithilfe derer er in eine bessere Welt zu fliegen träumt. Ebenso, wenn er von der Sichel des Sensenmannes spricht.

Die überraschende Auflösung der Geschichte wurde in der Jury kontrovers diskutiert: Dem Ich-Erzähler wird durch eine Laune des Schicksals das Leben gerettet. Die Jury kam jedoch zu dem Schluss, dass gerade die Möglichkeit zur kontroversen Diskussion ein Qualitätsmerkmal eines Textes ist. Denn einen Dialog zu eröffnen und Leserinnen und Leser durch die Beschäftigung und den Austausch ins Thema zu involvieren, ist ja die höchste Aufgabe der Literatur.

Egal, wie unterschiedlich die Meinungen zur Auflösung der Geschichte waren - DASS man so lange darüber diskutierte, spricht auf jeden Fall für einen gelungenen Schluss.

2. Platz: Gloria Frink, „Von Sicheln und Flügeln“

Lyrik mit ganz leichter Hand, mit Charme und Witz lesen wir bei Gloria Frink! In vier kurzen Strophen mit je vier Versen vermischt die Autorin die von der VHS Jury vorgegebenen doppeldeutigen Begriffe Sichel, Flügel, Laster, Gericht und Verband teils real, teils absurd – immer aber virtuos und in der vollen Bedeutungsbreite. Dabei schimmert, schwirrt und flimmert das Gesagte nur so durch die Luft und vermischt sich heiter und gekonnt zu kurzen Bildern, die durch Paar- und Binnenreime strukturiert und durch Alliterationen lautmalerisch ergänzt werden. Da „mault der Mond, der oben thront“. Da zischt die Sichel, du „Double du!&ldquo Und „der Verband der Lasterfahrer gilt als Lasterlust-Bewahrer“. Herrlich komisch!

Hier hat eine Autorin einfach Spaß, eine inhaltliche Vorgabe so frei wie möglich umzusetzen, ohne sich mit tiefgründigen Bedeutungen zu belasten. Sie pfeift auf Sinn und fabuliert was das Zeug hält.

Hier kocht mit Witz sie ein Gericht
Bewahr´ mich Wicht vor dem Gedicht,
denn der Jury Lasterlust entflammt geschwind dies Gift,
da dieser Zeilen Lyrik ganz ergötzlich - sogar plötzlich - genau ins Schwarze trifft

3. Platz: Nicole Nazari, „Digital Natives: Talente – Ein Hörspiel zum Gaffen“

Eine Geschichte komplett aus Dialogen erzählt uns Nicole Nazari. Die vhs Jury honoriert den Mitschnitt der Telefonate der Ermittler Jan, Ina und Guy in einem Mordfall mit dem dritten Platz.

Ganz vorzüglich ist es Frau Nazari gelungen, die fünf Begriffe der Jury in eine rasante Handlung zu packen, zu der eigentlich so viel Stoff gehört, dass allein der Versuch schon fast verwegen ist. Sie hat es geschafft, eine ganze Polizeiermittlung in 10.000 Zeichen zu beschreiben – genauer gesagt 9993– wohlgemerkt inklusive der Leerzeichen!

Aus den knappen, gut zusammengestellten Dialogen ergibt sich der Rest der nicht explizit beschriebenen Handlung für die Leserinnen und Leser problemlos. Durch die kurz hingeworfenen Nachrichten und Sprachnotizen entsteht ein hohes Tempo, das sich für einen Krimi sehr passend als Spannung mitteilt. Und auch der Humor bleibt nicht auf der Strecke.

Mit dieser erzählerisch mutigen Herangehensweise überzeugten die „Digital Natives“ die Jury sofort.